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Kennst du das? Du musst deinem Kind die Windel wechseln und es hat keine Lust dazu! Denn es ist mit etwas Wichtigerem beschäftigt. Und schon stehst du mal wieder vor einer großen Herausforderung. Du bist genervt. Jeden Tag das Gleiche.
In diesem Artikel möchte ich dir ein wenig über diese herausfordernden Situationen / Übergänge erzählen und Handlungsalternativen vorstellen.
Diese kleinen Übergänge werden als Mikrotransitionen bezeichnet. Den größten Teil des Tages verbringt dein Kind, das in der Regel noch sehr auf deine Unterstützung angewiesen ist, in Übergangssituationen. Es betrifft hier die sich mehrfach täglich wiederholenden Wechsel in den Alltagsroutinen.
Ich nenne dir dazu ein paar Bespiele:
- vom Schlafen zum Aufstehen
- vom Spielen zum Anziehen
- Bring- und Abholsituationen zur Fremdbetreuung
(Übergabe deines Kindes an die betreuende Bezugsperson) - vom Mittagessen zum Mittagsschlaf
- Wechsel von Räumlichkeiten
- Wechsel von Personen (von der Mutter zum Vater/Oma/Opa etc.)
- vom Spielen zum Wickeln
Überlege mal – welchen Situationen fallen dir noch ein?
Was macht denn diese Übergänge so schwierig?
Hier ein kleiner Auszug zum Entwicklungsstand des Kleinkindes aus dem Buch „Kinderjahre von Remo H. Largo“ Piper Verlag München, 2. Auflage 2020, Seite 153 u. 276
„In den ersten 3 Lebensjahren hat das Kind keine konkreten Zeitvorstellungen. [……] Ein erstes Zeitverständnis entwickelt sich im 4. Lebensjahr. Das Kind versteht nun zeitliche Angaben wie: >> Nach dem Mittagsschlaf gehen wir auf den Spielplatz. << Bis zum Schulalter dehnt sich das kindliche Vorstellungsvermögen auf immer größere Zeiträume aus. [……] In den ersten Lebensjahren leben Kinder weitgehend zeitlos im Hier und Jetzt. Remo H. Largo Kinderjahre2. Auflage 2020, Seite 153 u. 276
Nun zurück in deinen Alltag. Womit auch immer dein Kind gerade beschäftigt ist, befindet es sich im Hier und Jetzt. Es taucht ganz in die gerade ausgeführte Beschäftigung ein. Verbale Ankündigungen laufen eigentlich direkt ins Leere.
Es nutzt also gar nichts, wenn du deinem im Spiel vertieften Kind mitteilst, dass in 10 Minuten ein Windelwechsel ansteht. Es ist nicht in der Lage, dies zu verstehen. Dein Kind mag zwar darauf mit einem „Ja“ reagieren, ist sich aber über den weiteren Ablauf nicht bewusst.
Es denkt nicht >> Okay, ich habe verstanden. Ich kann jetzt noch 10 Minuten spielen und dann bekomme ich eine neue Windel << Das wäre ja auch zu schön; aber das ist Wunschdenken. Überraschung: wenn du nach 10 Minuten wieder zu deinem Kind gehst und nun den angekündigten Windelwechsel durchführen möchtest, wird es sich unter Umständen weigern. Die in der Vergangenheit – also vor 10 Minuten – geäußerte Zustimmung, ist längst vergessen und bei deinem Kind nicht mehr präsent (war sie wahrscheinlich auch nie).
Was jetzt? Auf in den Kampf?
Du könntest die Arena betreten und einen Machtkampf anfangen. Im strengeren Ton reagierst du auf sein „Nein“ und sagst vielleicht: „Ich habe dir doch gesagt, dass du noch 10 Minuten spielen darfst und dann wird die Windel gewechselt. Die 10 Minuten sind längst um und ich erwarte, dass du jetzt kommst.“ Wie, was, wo? Dein Kind versteht die Welt nicht mehr. Es fühlt sich in seinem selbstbestimmten Tun begrenzt und geht u.U. in den Widerstand. Wie sich so eine Situation weiter entwickelt, ist dir sicherlich bekannt.
Es gibt Alternativen – mein Beispiel aus der Praxis
Der zweieinhalbjährige Max sitzt im Kinderzimmer auf dem Boden und spielt mit seinem Lieblingsauto. Ein notwendiger Windelwechsel steht an. Die Mutter begibt sich zu Max auf den Boden – also auf Augenhöhe – und sagt zu Max, dass sie die Windel wechseln möchte. Sie bittet ihn, mit zur Wickelkommode zu kommen. Max reagiert mit einem spontanen und abwehrenden – für sein Entwicklungsstadium ganz normalem – „Nein“.
Die Mutter reagiert verständnisvoll: „Ah, ich sehe, dass du lieber weiter mit deinem Auto spielen möchtest.“ „Ja“, bestätigt Max. „Ich will spielen.“ „Okay, das verstehe ich. Hm, ich überlege mal, wie wir das jetzt machen könnten.“ Max fühlt sich durch die Worte und Stimmlage seiner Mutter in seinem Bedürfnis nach Anerkennung und Autonomie gesehen.
„Max, ich habe mir was überlegt. Du suchst dir eine Stelle aus, wo du dein Auto parken kannst. Dann wechseln wir die Windel und du kannst ganz schnell wieder mit deinem Auto spielen. Das Auto wartet dann auf dich.“. Neugierig und erwartungsvoll schaut Max seine Mutter an. Sie sagt: „Was meinst du? Wo könntest du dein Auto parken?“ Die Mutter lässt ihren Blick suchend durch das Zimmer schweifen und unterbreitet Max einen Vorschlag: „Vielleicht dort unter dem Tisch?“. Interessiert folgt Max dem Blick seiner Mutter, überlegt, und entscheidet begeistert, dass das Auto unter seinem Bett parken soll. Die Mutter zeigt sich freudig überrascht: „Das ist ein schöner Parkplatz für dein Auto. Das ist so eine tolle Idee! Dann fahr dein Auto jetzt unter dein Bett. Ich gehe zur Wickelkommode und warte dort auf dich“.
Mit lautem „Brumm Brumm“ fährt Max sein Auto unters Bett und kommt freudestrahlend zur Wickelkommode, dreht sich Richtung Bett und zeigt stolz auf sein Auto: „Da, da wartet das Auto“. „Ich freu mich mit dir, dass du einen tollen Parkplatz für dein Auto gefunden hast. Ich setze dich jetzt flott auf die Wickelkommode und mach dir eine neue Windel.“ Liebevoll hebt sie Max, der schon mit ausgestreckten Armen vor ihr steht, auf die Wickelkommode.
Und das soll funktionieren?
Vielleicht denkst du jetzt, dass dies mit deinem Kind nicht möglich ist, da es sich grundsätzlich anders verhält und alles immer schwierig ist.
Aus meiner langjährigen Betreuungserfahrung mit meinen eigenen sowie mit mir anvertrauten Kindern, habe ich wirklich erfahren dürfen, dass es mit allen Kindern – mit den unterschiedlichsten Temperamenten – möglich ist.
Denn Kinder sind grundsätzlich bereit, zu kooperieren. Wann treten sie aus der Kooperation aus:
- wenn sie überfordert sind
- wenn sie beschämt werden
- wenn sie mit ihren Bedürfnissen nicht gesehen
und nicht ernst genommen fühlen
Lies dir bitte nochmal mein Beispiel ganz in Ruhe durch. Es liest sich vielleicht aufwendig; aber in der Umsetzung kostet es dich nicht mehr Zeit.
Ein unnötiger Machtkampf schon – denn der kostest auch Zeit und manchmal nicht wenig. Es gibt letztlich keine Gewinner und nur schlechte Gefühle – bei dir und bei deinem Kind.
Du meinst, du musst dich jetzt durchsetzen? Nein, das musst du nicht.
Dein Kind will sich jetzt durchsetzen? Nein, es will sich nicht durchsetzen – nach dem Motto >> Ich bin hier der Chef! << So denkt ein Kleinkind nicht und kann es auch nicht.
Dein Kind muss das doch jetzt auch mal verstehen? Nein, dein Kind kann es nicht verstehen. Dazu ist es kognitiv einfach noch nicht in der Lage.
Erklärungen, wie >> Dein Popo wird wund, weil ……… Wir müssen jetzt zur Oma und deshalb …usw << wird es nicht verstehen.
Es geht auch anders……….
Führe die nachfolgenden Schritte durch und schau, wie du dein Kind achtsam durch einen Übergangsprozess begleiten kannst. Du bist die Expertin deines Kindes und du kannst am besten einschätzen, was es jetzt braucht.
- Du gehst auf Augenhöhe mit deinem Kind und sagst ruhig und freundlich, was du vorhast.
- Ist es bereit? Wunderbar!
- Ist es noch nicht bereit? Dann folge meinem vorgenannten Beispiel und suche mit deinem Kind gemeinsam nach Alternativen.
- Beziehe dein Kind achtsam in diesem Prozess ein und übe keinen Druck aus – gib ihm Zeit.
Es hat nicht geklappt? Dann gehe jetzt die nächsten Schritte ……
- Ruhig bleiben; bitte denke daran, dein Kind kann es noch nicht anders
- Du bleibst bei deinem Kind sitzen, sagst nichts mehr zum Thema „Windelwechsel“ (aber bitte nicht genervt abwenden)
- In Verbindung bleiben – mal kurz – ohne Erwartungshaltung – den Rücken etc. streicheln
- Du nimmst irgendetwas – z.B. ein anderes Spielzeug oder Buch in die Hand und beschäftigst dich damit.
- Dein Kind entspannt sich und es wendet sich dir nach einiger Zeit neugierig zu.
- Bitte jetzt keine Erwartungshaltung / kein Druck (du wolltest ja die Windel wechseln)
- Reagiere auf dein Kind: Ist es neugierig, was du dir anschaust?
- Jetzt könntest du evtl. fragen, ob es das (z.B. das Buch) mit zur Wickelkommode nehmen möchte.
- Dein Kind wird jetzt bereit sein, sich die Windel wechseln zu lassen. Das verspreche ich dir.
Übung macht die Meisterin
Hat es noch nicht so gut funktioniert. Dann schau mal, wo es vielleicht hakte. Vielleicht war der Erwartungsdruck von dir doch noch zu hoch? Manchmal sind es nur noch ganz kleine Schritte, die es zu ändern gilt. Ich ermutige dich, dir in einer ruhigen Minute die Situation nochmal an anzuschauen und zu überlegen, wo du beim nächsten Mal noch etwas ändern könntest. Es lohnt sich.
Das hört sich für dich alles so aufwendig an? Das kann ich sehr gut verstehen.
Hier gilt: Übung macht den Meisterin. Du und dein Kind befinden sich gemeinsam auf einem Weg und ihr dürft beide lernen.
Übe die „Vorgehensweise“ in entspannten Momenten ein, damit du diese neue liebevolle Haltung verinnerlichen und in brenzligen Situationen auch umsetzen kannst.
Ich möchte dich bestärken und ermutigen, einfach mal die Handlungsalternative umzusetzen. Denke nicht zu viel nach. Vieles können wir nicht erdenken; wir dürfen es erfühlen.
Du wirst staunen: Es werden viele schöne verbindende Zaubermomente entstehen.